Für einen Gastbeitrag haben wir Sebastian Wilken, Solarforscher und Autor von Zugpost.org gebeten seinen Blick auf das Thema: Solarzellen zwischen Schienen aufzuschreiben. Besonders weil immer wieder Jubelberichte uns erreichen:
Ich war einmal an einem spannenden Forschungsprojekt beteiligt. Die Idee: halbdurchsichtige Solarzellen für Gewächshäuser. Sie sollten den Farbanteil des Lichts, den Pflanzen zum Wachsen brauchen, durchlassen – und aus dem Rest Strom erzeugen. Klang nach einer eleganten Lösung. Synergieeffekt, Nachhaltigkeit und irgendwie grün – das ganze Paket. Wir waren begeistert.

Bis ein Kollege in einer Besprechung trocken sagte: „Warum klebt ihr eine schlechte Solarzelle aufs Dach, wenn ihr eine sehr gute auf die Wiese daneben stellen könnt?“
Autsch. Aber er hatte natürlich recht. Die Effizienz der durchsichtigen Solarzellen war so gering, dass der kombinierte Nutzen von Stromgewinnung und Pflanzenwachstum nie über den von zwei getrennten Lösungen hinausgekommen wäre. Die Idee klang gut – und war trotzdem nicht sinnvoll.

Daran musste ich in den letzten Tagen denken, als ich mehrfach über ein Pilotprojekt aus der Schweiz stolperte. In einem Testlauf sollen Solarzellen zwischen Eisenbahngleisen installiert werden. Die Vision: das gesamte Schienennetz – über 5000 Kilometer – mit Solartechnik ausstatten. Das Medienecho ist groß, Wohlfühl-Influencer teilen begeistert.
Fünftausend Kilometer – das klingt erstmal beeindruckend. Aber wie so oft liegt der Teufel im Detail. Der Haken an der Sache: In Mitteleuropa beträgt der Abstand zwischen den Schienen, die sogenannte Spurweite, gerade einmal 1435 mm. Zieht man Platz für Räder und Sicherheitsabstände ab, bleibt vermutlich nicht mehr als ein Meter nutzbare Breite übrig.
Ein Meter auf 5000 Kilometer, das ist ein Aspektverhältnis von 1 zu 5 Millionen. Mit etwas Abstand betrachtet: eine hauchzarte Linie. Praktisch ein eindimensionales Objekt. Und Photovoltaik braucht vor allem eines: Fläche, Fläche, Fläche.

Multipliziert man die 5000 Kilometer mit dem verfügbaren Meter, kommt man auf eine Gesamtfläche von etwa 5 Quadratkilometern – das entspricht einem Quadrat mit 2,2 Kilometern Seitenlänge. Für ein ganzes Land ist das erstaunlich wenig. Mit einer Handvoll mittelgroßer Solarparks lässt sich diese Fläche locker erreichen.#

Installationen im Freifeld haben noch weitere Vorteile: Die Module lassen sich zur Sonne ausrichten. Sie werden nicht regelmäßig verschattet oder von Zügen überrollt. Sie müssen nicht gegen Schotterflug, Vibrationen, Bremsstaub und Öl kämpfen. Und sie liegen nicht flach in der Horizontalen – was die Stromausbeute deutlich mindert.

Hinzu kommt: Große Teile des Schienennetzes sind gar nicht geeignet. Tunnels, Brücken, Bahnübergänge, Weichen – überall dort ist eine Belegung mit Solarzellen technisch kaum machbar oder sicherheitstechnisch problematisch. Der tatsächlich nutzbare Anteil dürfte also deutlich kleiner als 5000 Kilometer sein.
Aber selbst wenn all diese Nachteile irgendwie lösbar wären: Warum Zeit und Geld in eine Lösung stecken, für ein Problem, auf das wir längst eine Antwort haben? Solarzellen sind so günstig und effizient wie nie zuvor. Es braucht keine technische Revolution, keine exotischen Montagesysteme. Wir müssen sie einfach nur installieren – dort, wo sie sinnvoll arbeiten können.

Die gute Nachricht: Dazu muss man nicht einmal Natur opfern. Dächer, Fassaden, Lärmschutzwände, Parkplatzüberdachungen, Balkone – auch in der Schweiz gibt es geeignete Flächen im Überfluss.
Ja, das ist vielleicht nicht spektakulär. Keine hübschen Drohnenaufnahmen, keine viralen Posts. Aber genau das ist der Punkt: Die Energiewende braucht keine neuen Zukunftsvisionen, sie braucht Umsetzung. Also packen wir es an – pragmatisch, effizient, ohne Umwege.
Über den Autor: Sebastian Wilken ist promovierter Physiker und hat neuartige organische Materialien für Solarzellen erforscht. Heute lebt er in Turku, Finnland, und schreibt als freier Autor über Zugreisen.
Siehe dazu auch: https://jonworth.eu/solar-panels-between-the-tracks-on-an-active-railway-line-a-dreadful-idea/